2015-03-03

24

Nun bin ich also 24 Jahre alt. Ganz schön unerwartet, ganz schön abgefahren. Obwohl das eigentlich noch kein Alter sein sollte, kann ich nicht umhin, zu denken, dass mir noch ein Jahr bis zu einem Vierteljahrhundert fehlt und dass sich vor 24 Jahren Dinge ereigneten, die jetzt in Geschichtsbüchern für arme Socken in der 7. Klasse stehen. Ganz zu schweigen davon, dass manche Leute mit 24 ihr Leben schon irgendwie auf die Reihe bekommen haben. Ich eher nicht so.

"Komm, jetzt reiss dich doch bitte mal zusammen," sage ich mir so ungefähr alle drei Tage. "Leben leben ist ganz einfach. Das kriegen täglich 7 Milliarden Menschen hin, also kannst du das auch." Ich vergrabe mich dann hochmotiviert mit meinem Laptop im Bett, schreibe eine kriegerisch klingende 2DO-Liste und fange an absoluten Schwachsinn zu googlen, der meinen Kampfgeist heben, mich aufraffen und zu neuen Schandtaten motivieren soll. Beispielsweise "Volontariat Köln", oder "guter Concealer für sehr helle Haut", oder "Rechtsschutzversicherung bei Bankraub". Nach 3 Stunden und einer sanften Landung entweder auf den Websites diverser Weibchenmagazine oder im Darknet schrecke ich dann hoch und erkenne wieder einmal, dass diese Schiene mich nicht in eine strahlende Zukunft mit einem coolen Job, Jetlags und einer metaphorischen Petrischale für Egokultivierung befördern wird. Ja mein Kind, du musst tatsächlich etwas Sinnvolles tun. Wie ist es, wolltest du nicht ursprünglich mal Journalistin sein? Wolltest du nicht ein Buch schreiben?

Ich scrolle ein bisschen auf Facebook, Twitter und in Whatsapp rum und überlege, wem ich, um nicht zu platzen, unauffällig meine Frust unterbreiten könnte. Tatsächlich, wenn ich ehrlich bin, niemandem. Was würde ich denn auch konkret beklagen wollen? "Irgendwie... ist alles so doof." "Ich hör hier gerade ein paar tolle neue Bands, aber die sind alle jünger als ich und schon viel weiter im Leben und das macht mich traurig." "Ich habe das Gefühl, ich kann nichts besonderes." "Ich kann nicht mehr schreiben." Ich kann tatsächlich nicht mehr schreiben. Ich hatte einmal die Angewohnheit, bei akuter Wut, Traurigkeit, Nostalgie und anderen kleinen Hormontornados leere Blätter absolut ehrlich und gnadenlos vollzukrakeln und diese Gefühls-Enzephalogramme sogleich zu vernichten, damit ihr Inhalt niemals an die Öffentlichkeit gerät. Kein neugieriger Müllmann der Welt hätte die je wieder zusammenbasteln können, so ausführlich und dramatisch war der Inhalt. Ich habe es in letzter Zeit mehrfach versucht, aber nicht eine einzige Zeile schreiben können. "Ich bin so sauer," fing ich dann an, "ich - " Pause. Rrrrrrratsch. Ab in den Papierkorb. Wollte ich  nicht ursprünglich einmal Journalistin sein? Eigentlich will ich das tatsächlich immer noch, aber wenn man nichts schreibt, ist das suboptimal. Auch dass ich 24 bin, Journalistin und am liebsten auch Autorin sein will, und nichts schreibe, ist so suboptimal, dass mir ganz schlecht wird davon.

Das Internet schreit geradezu danach, dass man da was rein schreibt. Ich hasse das Internet. Manche Leute heulen rum, genau wie ich, und plötzlich lese ich, dass sie jetzt einen richtigen Job bei einer Zeitung erschlawienert haben. Aber immer noch unglücklich sind. Manche Künstler haben mehrere tausend Follower in diversen Netzwerken und verkaufen stapelweise T-Shirts und Jutebeutel und Drucke, und malen für die Häuser ihrer Idole Portraits von deren Kindern. Manche haben einfach eine Katze, die schlecht gelaunt aussieht und haben somit für ihr Leben vorgesorgt. Manche streuen hin und wieder dezent ihre Erfolge in meine Facebook Timeline ein- sie wollen niemandem Böses, aber mir schnürt Panik die Kehle zu. Ich bin schon 24. Höchste Eisenbahn endlich 32 Jahre Berufserfahrung, mindestens zwei Bestseller, einen Grammy und einen eigenen Flur im MoMA in New York vorweisen zu können. Ja, für Ironie bin ich noch zu haben. Ich vergleiche aber viel zu viel. Ich mache zu wenig. Ich kann nicht mehr schreiben. Deswegen sitze ich hier, und schreibe all das. Ich lese auch nicht mehr so viel wie früher. Vor lauter Motivation, Inspiration und WikiHow mache ich absolut nichts, und wippe lethargisch vor 17 geöffneten Tabs auf meiner Matratze hin und her. Im Hintergrund laufen Iceage und Cherry Glazerr. Sie sind alle 18 bis 22. Sie stolpern von Festival zu Shooting, zu Festival, zu Welttournee. Ich bin 24. Ich stolpere am Eingang zum Supermarkt, wenn es regnet und die Räder vom Einkaufswagen zuerst klemmen, und dann nicht mehr. 

Ich sehe noch aus wie 15. Ich möchte gerade eher ungern 24 sein. Ach, 24... das ist doch kein Alter.

2 comments:

  1. Quarterlife Crisis! :D Kenne ich irgendwoher, das Gefühl. Kann dir aber aus Erfahrung berichten, dass sich das früher oder später in Wohlgefallen auflöst. Entweder, weil man irgendwann tatsächlich eine Beschäftigung findet, die einem großen Spaß bereitet oder weil man seine Erwartungen (ans Leben und an sich selbst) relativiert. In Wirklichkeit ist es wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.

    Wenn ich mir dein Blog anschaue, sind die Sorgen auch eher unbegründet. Talent ist mehr als ausreichend vorhanden, von daher alles nur eine Frage der Zeit. :)

    Ich befürchte allerdings, die Midlife Crisis könnte schwieriger zu bewältigen sein.

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    1. kann sein, kann sein... das elendste ist doch das gefühl, nur selbstverschuldet in der schwebe zu sein, und dass alles zu schreien scheint, dass es das leichteste der welt ist, seine lage schnell zum besseren zu wenden, aber das ist eine illusion und bis man das verdaut hat, kann zumindest bei mir noch einige zeit vergehen:-( aber danke für die aufmunternden worte!

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